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Münster (upm/kn).
Partizipativer Charakter: Das zweijährige Auditierungsverfahren „Vielfalt gestalten“ bindet die Hochschulangehörigen beispielsweise durch Workshops ein.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Partizipativer Charakter: Das zweijährige Auditierungsverfahren „Vielfalt gestalten“ bindet die Hochschulangehörigen beispielsweise durch Workshops ein.
© WWU - Peter Leßmann

„Wir wollen eine respektvolle und wertschätzende Campuskultur fördern“

Prorektorin Maike Tietjens und Auditorin Andrea D. Bührmann über die Entwicklung einer Diversitätsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit

Die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster versteht Diversität und Vielfalt als Bereicherung und Chance. Mit der Teilnahme am zweijährigen Auditierungsverfahren „Vielfalt gestalten“ des Stifterverbandes soll eine Strategie entwickelt werden, die die Chancengerechtigkeit und Diskriminierungsfreiheit fördert. Über den Stellenwert von Diversität an deutschen Hochschulen, den Kulturwandel sowie die Inhalte und Ziele des Auditierungsprozesses an der WWU sprechen Prof. Dr. Maike Tietjens, Prorektorin für akademische Karriereentwicklung und Diversity, und Prof. Dr. Andrea D. Bührmann, Auditorin von der Georg-August-Universität Göttingen, im Interview mit Kathrin Nolte.

Diversity, Diversity-Management, Vielfalt – diese Begriffe sind aus den USA zu uns herübergeschwappt, und wir begegnen ihnen mittlerweile überall. Was verstehen Sie unter Diversität?

Andrea D. Bührmann: Diversität bezeichnet in der Forschung Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Wichtig ist, dass nicht nur Unterschiede zwischen bestimmten Gruppen, sondern eben auch Gemeinsamkeiten unter ihnen betrachtet werden. An Hochschulen fasst man unter dem Begriff in der Regel sechs Dimensionen: Behinderung, Geschlechtszugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Religion und ethnische sowie soziale Herkunft.

Maike Tietjens: Historisch betrachtet, ist Diversität eng mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er-Jahre und der Entwicklung antidiskriminierender Maßnahmen verbunden. Das Thema beschränkt sich jedoch nicht nur auf diese Länder und Gesellschaften. Zahlreiche Studien haben beispielsweise gezeigt, dass der Zugang zu Universitäten in Deutschland immer noch sozial ungleich verteilt ist. Studierende aus Nichtakademikerfamilien und mit Migrationshintergrund sind unterrepräsentiert. An der WWU verstehen wir Vielfalt als Motor für Innovation und Erfolg. Dieses Verständnis umfasst den Umgang mit Unterschieden der Studierenden und Beschäftigten, das Erkennen von Gemeinsamkeiten sowie die darauf aufbauende Verbesserung von Bildungs- und Chancengerechtigkeit. Diversität ermöglicht neue Perspektiven und einen freien Meinungsaustausch – beides sind zentrale Voraussetzungen für Exzellenz in Forschung, Lehre, Studium und Verwaltung.

Welchen Stellenwert nimmt Diversität in der deutschen Hochschullandschaft ein?

Maike Tietjens: Da das Thema in Deutschland noch verhältnismäßig neu ist, existiert bisher weder ein einheitliches Verständnis von Diversität noch ein allgemein anerkannter Umgang mit Vielfalt an deutschen Hochschulen. Es setzt sich allerdings zunehmend das Bewusstsein durch, dass Diversität ein wichtiger Wettbewerbsfaktor im globalen Wettstreit um die besten Köpfe ist. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat Diversität kürzlich in ihre forschungsorientierten Gleichstellungsstandards aufgenommen, sodass das Thema in Zukunft auch in der Forschungsförderung eine größere Rolle spielen wird. Dieses zunehmende Bewusstsein für Diversität verlangt nach einem Kulturwandel an deutschen Hochschulen. An der WWU wollen wir den Talenten eine gleichberechtigte Teilhabe an der Universität ermöglichen und versuchen, Diskriminierung so gut wie möglich verhindern.

Andrea D. Bührmann: Das ist ein entscheidender Punkt: Während Diversität in den USA bereits sehr lange im Fokus steht und viele namhaften Hochschulen ambitionierte Strategien entwickelt und umgesetzt haben, nimmt das Thema in Europa und Deutschland erst seit den 2010er-Jahren richtig an Fahrt auf. Das ist ein wichtiger Schritt, denn zahlreiche Studien zeigen, dass vielfältige Forschungs- und Lern-Teams innovativer sind als homogen zusammengesetzte Gruppen.

Wie sieht eine diversitäts- und diskriminierungssensible Hochschule im Idealfall aus?

Andrea D. Bührmann: Aus meiner Perspektive sollte es darum gehen, dass alle Mitglieder und Angehörige von Hochschulen ohne Angst anders sein können und sich entsprechend ihren Fähigkeiten und Talenten in die Gemeinschaft der Lehrenden, Forschenden, Studierenden und wissenschaftsunterstützenden Beschäftigten einbringen. Perspektivenvielfalt fördert Kreativität und Innovationsfähigkeit. Deshalb ist es wichtig, die Rekrutierungsprozesse für die Beschäftigten, aber auch für die Studierenden diversitätssensibel zu gestalten.

Im Jahr 2021 hat sich die WWU erfolgreich um die Teilnahme an dem Diversity Audit „Vielfalt gestalten“ beim Stifterverband beworben. Welche Ziele verfolgt die Universität Münster in diesem Auditierungsprozess, und welche Herausforderungen stellen sich hierbei?

Prof. Dr. Maike Tietjens<address>© WWU - Peter Wattendorff</address>
Prof. Dr. Maike Tietjens
© WWU - Peter Wattendorff
Maike Tietjens: Die WWU verfolgt eine aktive Diversitätspolitik. Ziel ist es, eine respektvolle und wertschätzende Campus- und Organisationskultur nachhaltig zu fördern, in der die Prinzipien der Chancengerechtigkeit und gleichberechtigten Teilhabe konsequent umgesetzt und Diskriminierungen reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, schnüren wir passende Maßnahmenpakete und bringen diese noch innerhalb des Auditierungszeitraums in die Umsetzung. Es ist sicherlich kein leichtes Unterfangen, an einer so großen und komplexen Institution wie der WWU die Interessen aller Beteiligten und alle Perspektiven auf das Thema Diversität zu vereinen. Es muss zum einen gelingen, unterschiedliche Gruppen an einen Tisch zu bringen, um in ein offenes und respektvolles Gespräch miteinander zu kommen. Zum anderen muss man auch die praktische Umsetzbarkeit der erarbeiteten Maßnahmen jederzeit mitdenken. So können beispielsweise Bauvorschriften bestimmte Vorhaben, die Barrierefreiheit ermöglichen sollen, erschweren oder sogar unmöglich machen.

Diversität wird im Auditierungsverfahren als ein Querschnittsthema verstanden. Was bedeutet das genau?

Maike Tietjens: Diversität betrifft alle Aspekte des Zusammenlebens und -arbeitens und wirkt in alle Strukturen und Prozesse hinein. Um diese Komplexität händelbar zu machen, schichtet der Stifterverband die langfristige Zielsetzung ab und nimmt sechs Handlungsfelder in den Blick: Strategie und Struktur, Studium und Lehre, Service und Beratung, Personalmanagement, interne und externe Kommunikation und Partizipation sowie Liegenschaften. An der WWU konzentrieren wir uns zunächst auf die Handlungsfelder Strukturen, Beratung, Kommunikation sowie Studium und Lehre.

Wie ist das zweijährige Auditierungsverfahren „Vielfalt gestalten“ an der WWU organisiert?

Maike Tietjens: Der Prozess wird von einer Steuerungsgruppe geleitet, der neben mir Tanja Beck als operative Projektleitung, Bernadette Greiwe aus dem Dezernat für Studium und Lehre sowie Dr. Corinna Lenhardt aus dem WWU Zukunftslabor angehören. Hinzu kommt der Lenkungskreis. Er besteht aus etwa 20 Personen der Universität und stellt das eigentliche Herz des Auditierungsprozesses dar. Diese Gruppe trifft sich regelmäßig, um Input zu den anstehenden Aufgaben zu liefern, Ziele zu formulieren und einen Konsens zwischen den verschiedenen beteiligten Gruppen herzustellen. Es ist das zentrale Gremium, in dem eine gemeinsame universitätsweite Vision zum Umgang mit Diversität erarbeitet wird. Arbeitsgruppen für die vier Handlungsfelder runden das Bild ab. Diese erarbeiten konkrete Maßnahmen und sorgen für die Umsetzung.

Und als Auditorin sind Sie, Frau Bührmann, die Lotsin des Verfahrens?

Prof. Dr. Andrea D. Bührmann<address>© Regine Peter</address>
Prof. Dr. Andrea D. Bührmann
© Regine Peter
Andrea D. Bührmann: Ja, das ist eine passende Beschreibung für meine Aufgabe. Ich begleite die WWU in ihrer individuellen Strategieentwicklung und bei den entsprechenden Umsetzungsprozessen. Wichtig ist, dass jede Hochschule anders ist und vor anderen Herausforderungen steht. Das hat ja Frau Tietjens eben auch schon gesagt. Hochschulen unterscheiden sich in beispielsweise ihrer Größe, ihren Studien- und Forschungsschwerpunkten und auch in ihren Entwicklungsperspektiven. Deswegen gibt es nicht das eine erfolgversprechende Konzept für alle. Das Diversity Audit bietet ein Gefäß an, das von den Hochschulen für ihre individuelle Weiterentwicklung als Organisation genutzt werden kann. Zugleich lernen die Hochschulen in sogenannten Diversity-Foren voneinander.

Die aktive Beteiligung aller Statusgruppen der WWU ist ein zentraler Aspekt in diesem Prozess. Wie kann ich mich einbringen?

Andrea D. Bührmann: Hier hat die WWU aus meiner Sicht vorbildlich vorgearbeitet, indem sie eine entsprechende Rektoratskommission Diversity (RKD) eingerichtet hat.

Maike Tietjens: Genau, die Vorarbeit der RKD, die seit Anfang 2021 bis Ende 2022 tätig war und einen umfassenden Abschlussbericht mit diversen Handlungsempfehlungen erarbeitet hat, liefert uns eine hervorragende Grundlage für den Auditierungsprozess. Die RKD setzte sich aus Mitgliedern diverser an der WWU präsenter Gruppen zusammen, sodass eine breite Beteiligung gewährleistet war und unterschiedlichste Interessen berücksichtigt werden konnten.

Dieser partizipative Charakter soll auch im weiteren Verlauf des Auditierungsprozesses von zentraler Bedeutung sein. Er ist zum Beispiel in der Konzeption der Arbeitsgruppen angelegt, an welchen neben Mitgliedern des Lenkungskreises noch Expert:innen aus den verschiedenen Statusgruppen und Bereichen mitwirken. Damit sollen möglichst viele Stimmen gehört und keine Idee außer Acht gelassen werden. Bei den bisher bereits durchgeführten Veranstaltungen im Rahmen des Auditierungsprozesses haben wir diverse Formate entwickelt, um Kanäle für Rückmeldungen aus der Hochschulöffentlichkeit zu öffnen. Weitere hochschulöffentliche Veranstaltungen unter anderem im Rahmen der ‚Diversity Week 2023‘ befinden sich momentan in der Planung. Außerdem soll es die Möglichkeit für ein Online-Feedback geben. Weiterhin ist geplant, eine universitätsweite Erhebung zum Thema Diversität durchzuführen. Bereits jetzt steht es allen offen, sich mit Hinweisen an die Projektleiterin Tanja Beck zu wenden. Wir freuen uns immer über neue Expertisen und Perspektiven.

Auditierungsverfahren stehen manchmal in der Kritik, dass viel Geld für einen Prozess gezahlt wird, an dessen Ende ein Strategiepapier steht, das in einer Schreibtischschublade verschwindet. Was tut die WWU, damit das nicht passiert?

Maike Tietjens: Wir verstehen das Auditierungsverfahren nicht als eine zeitlich begrenzte Episode, sondern als einen Rahmen für einen längerfristigen Organisationsentwicklungsprozess. Mit Frau Bührmann haben wir eine wertvolle Fachexpertin gewonnen, die uns durch die komplexen Prozesse lotsen wird. Wir wollen unter anderem nachhaltige Strukturen in den Fachbereichen etablieren, sodass sie Diversität und Vielfalt in ihren jeweiligen Feldern diskutieren und entwickeln können. Mit Abschluss des Audits werden wir nicht fertig sein, sondern haben dann hoffentlich erste Ergebnisse und eine Strategie, die unseren weiteren Weg beschreibt. Das Papier, das wir dann in den Händen halten werden, ist daher eine Zusammenfassung dessen, was wir jetzt entwickeln, ein Ausblick darauf, was als Nächstes kommt und eine Zusammenfassung des Grundverständnisses von Diversität an der WWU.

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